5
Eines dieser Zwischenspiele war jetzt fällig, aber erst würde Alister ein paar Tage bei uns verbringen. Natürlich besuchte er Miss Adams, die er sehr gern mochte, und ebenso natürlich traf er dort Oliver Barrett.
Er kam nachdenklich nach Hause, und als wir allein waren, fragte er plötzlich: »Susan, was ist mit diesem Doktor?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Guck nicht so teilnahmslos. Das paßt nicht zu dir. Was ist mit ihm und Tony? Wird sie ihn heiraten?«
Ich zuckte die Achseln und seufzte: »Ich weiß es nicht, Alister. Tony spricht nicht mehr über ihre Gefühle. Sie ist erwachsen geworden. Hast du ihn dort kennengelernt?«
»Natürlich. Er kam ’rein, als wir Tee tranken, und fragte, ob Tony ihm bei einem Kind helfen könnte, das eine Spritze brauchte. Die Mutter war hoffnungslos, und das Kind bekam hysterische Anfälle. Tony kann wohl gut mit Kindern umgehen.«
»Ja, das kann sie, und sie hilft dem Doktor ab und zu. Ihre Häuser liegen so nah beieinander, und er findet keine Schwester, die da draußen wohnen will.«
»Nun komm schon, Susan. Schließlich bin ich der Vater von dem Mädchen.«
»Von Zeit zu Zeit«, erwiderte ich gehässig, bekam dann aber Mitleid, weil er so nett und entschuldigend lächelte, und sagte: »Ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube, Tony hat ihn lieb. Er ist nett. Und ich glaube, sie sieht sich selbst als Frau und Gehilfin eines Hinterlandarztes, der sich für die armen Farmer abrackert.«
»Großer Gott, hat sie das noch immer nicht überwunden? Und ich höre an deiner Stimme, Susan, daß du nicht einverstanden bist, oder?«
»O doch, ich mag ihn als Arzt und als Bekannten sehr gern, aber vielleicht nicht für Tony. Aber ich darf nicht darüber entscheiden, und ich erwarte auch nicht, daß ich gefragt werde. Wir können nur abwarten.«
»Und den Daumen halten... Bleibt er lange hier?«
»Er hat sich nur für sechs Monate festgelegt, und da man hier in einer verzweifelten Lage war, hat man zugepackt. Aber nun ist er schon länger hier und von weggehen wird nicht gesprochen.«
»Aber er will wohl nicht für immer bleiben.«
»Das glaube ich nicht, aber ich wünschte, er würde sich über seine Pläne auslassen. Er spricht nie davon, so sind wir eben weiterhin dankbar, daß wir auch nur für kurze Zeit einen Arzt haben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer es hier ist, eigentlich überall in Neuseeland.«
»Ich habe davon gelesen. Wenn ein Mann natürlich ehrgeizig ist und Erfahrungen sammeln will, geht er dorthin, wo das am besten möglich ist. Wahrscheinlich bleibt der Bursche gerade lange genug, um sich mit Tony zu verloben und dann eine bessere Praxis zu bekommen. Das kann man ihm nicht vorwerfen.«
»Tue ich auch nicht, wenn er es ihr nur ehrlich sagt, bevor er ihr einen Heiratsantrag macht.«
»Das Beste, was du tun kannst, ist, die Dinge aufzuhalten, solange es geht. Wenn sie sich verloben, und davon bin ich überzeugt, dann versuche, die Hochzeit zu verhindern, bis Tony einundzwanzig ist.«
»Meinst du nicht, das wäre deine Aufgabe?« schlug ich kühl vor. »Für Paul und mich ist es nicht gerade ein Vergnügen, den Hemmschuh zu spielen.«
»Ich will mein Bestes tun. Ich werde sie mit phantastischen Männern bekannt machen und versuchen, sie abzulenken. Aber denke daran, daß Claudia, zum Teufel mit ihr, Paul zu ihrem Vormund gemacht hat, solange sie hier ist. Er hat das letzte Wort, aber ich werde ihn unterstützen.« Damit mußte ich mich zufriedengeben.
Nachdem Alister sich vier Tage lang auf der Farm erholt hatte, reisten sie ab. Ich habe mich oft gefragt, ob er auf diesen Reisen seine Tochter als Hindernis oder als eine unerwünschte Anstandsdame empfand. Aber er benahm sich bestimmt anständig, solange sie bei ihm war, und mich ging es nichts an. Ich mochte ihn. Natürlich war mir klar, daß er Tony erst mitgenommen hatte, als sie eine sehr attraktive junge Frau geworden war, aber jetzt gab er ihr väterliche Liebe, auch wenn es nicht auf die übliche Art geschah. Bevor sie abfuhr, ging sie zu Peter Anstruthers Farm, obwohl ich vermutete, daß sie mehr das Fohlen sehen wollte als dessen Besitzer. Alister begleitete sie, und als er zurückkam, sagte er zu mir: »Der ist in Ordnung, dieser junge Mann. Eigentlich schade... «
Wir wechselten beide schnell das Thema.
Dr. Barrett beklagte ganz offen Tonys Abwesenheit. Er rief mich ein- oder zweimal an, um etwas von ihr zu erfahren, und schaute nach einem seiner Krankenbesuche bei uns herein. Es war eine rauhe Winternacht, er tat mir leid. Abgespannt und müde würde er in ein kaltes leeres Haus zurückkehren, ohne daß Tony ihm das Essen brachte und ihm von ihren Erlebnissen erzählte. Wir taten unser Bestes und luden ihn zum Abendessen ein. Hinterher saß er mit uns am flackernden Feuer, schlief halb und behauptete fernzusehen. Wir begannen, unter dem Fieber der Vorwahlen zu leiden. Ein Reporter hatte bereitwillige Leute auf der Straße angehalten und nach ihrer Meinung ausgefragt. Es war das Übliche. Manche Leute wußten noch nicht einmal das Datum; andere hatten ihre Auffassung über alles und mußten taktvoll unterbrochen werden. Manche weigerten sich, überhaupt zu sprechen.
Plötzlich rief Paul aus: »Lieber Himmel, da ist Tony!« Dr. Barrett schoß hoch, ich legte mein Nähzeug weg. Es war wirklich Tony, die auf dieser geschäftigen Straße angehalten wurde und den Reporter liebenswürdig anlächelte. Sie sah ganz anders aus als viele junge Leute; sicherlich ausgefallen, was die Länge der Haare und die Kürze des Rockes betraf, aber fröhlich und hübsch, ohne Scheu vor dem Mikrophon. Ich murmelte: »Oh, lieber Himmel«, und Paul sagte: »Hoffentlich redet sie keinen Unsinn.« Dr. Barrett starrte nur gebannt auf den Bildschirm.
»Was halten Sie von den Wahlen?«
Tony lächelte bezaubernder denn je. »Ich finde sie phantastisch. Ein Riesenspaß. Wenn nur die Zwanzigjährigen wählen dürften, dann könnte ich auch meine Stimme abgeben.«
»Sie sind doch bestimmt noch nicht zwanzig?«
»Nein, aber vor der Wahl werde ich zwanzig. Ich werde alles pauken und für unsere Partei Mitglieder werben.«
»Braves Mädchen! Aber wird Sie eine Wahlversammlung nicht langweilen?«
»Langweilen? Das wird doch spannend.«
Er lachte. »Sie gehören nicht zu denen, die am Feuer sitzen und alles auf dem Bildschirm betrachten?«
»Natürlich nicht. Jetzt, wo unsere Straße geschottert ist, ist es ganz einfach ’rauszufahren, sogar nachts.«
Er sah erstaunt aus. »Geschottert? Aber Sie leben doch in der Stadt?«
»Nie im Leben. Ich arbeite in einem Laden im Hinterland und genieße jede Minute.«
»Das ist die richtige Einstellung, aber ich muß sagen, Sie sehen überhaupt nicht wie ein Mädchen vom Land aus«, aber hier lachte Tony und ging ihres Weges.
Einen Moment herrschte Schweigen, dann sagte Paul selbstgefällig: »Na ja, sie hält ihre Fahne hoch, findet ihr nicht?«
»Sie sah wunderbar aus und war kein bißchen schüchtern«, murmelte ich einfältig.
Der Doktor sagte zunächst nichts, aber er sah nicht besonders begeistert aus.
Dann brummte er: »Wie sie dieses Hinterland ständig besingt! Man könnte meinen, es gäbe keinen anderen Ort auf der Welt, wo es sich leben läßt. Es war überhaupt nicht nötig, etwas über ihre Arbeit in dem Laden zu sagen.«
Ich war verärgert und erstaunt. War es möglich, daß der Doktor ein Snob war, daß er nicht wollte, daß das Mädchen, welches er liebte, der Welt erzählte, es arbeite in einem Laden? Er sagte gereizt: »Es klang überhaupt nicht, wie es wirklich ist. Jeder muß denken, daß sie eine normale Verkäuferin ist.«
Das war zuviel für mich. Ich sagte: »Warum eigentlich nicht? Sie ist eine Verkäuferin und schämt sich dessen nicht. Sie arbeitet in einem Geschäft, und das macht sie gut; es ist nicht schlecht, wenn die Leute sehen, daß ein Mädchen hübsch, elegant und fröhlich sein kann, und trotzdem aus dem Hinterland kommt.«
Es war vielleicht ein Glück, daß in diesem Augenblick das Telefon klingelte. Jeder schien das Programm gesehen zu haben; nun riefen sie alle an, um zu erzählen, wie attraktiv und natürlich Tony gewesen war. Sogar Peter hatte angerufen und gesagt: »Schön, zu sehen, daß Tony sich vergnügt. Herrlich, wie sie die Herausforderung angenommen hat. Sie hat ihren Spaß.«
Ganz anders als die Reaktion des Doktors, dachte ich. Aber Peter hatte ja auch kein »Image« zu wahren; er war ein Farmer vom Land und stolz auf ein Mädchen vom Land. Ich kam vom Telefon zurück und sagte gehässig: »Na ja, alle anderen schienen Tony wunderbar gefunden zu haben. Peter war ganz begeistert.«
Als Barrett gegangen war, sagte ich zu Paul: »Dieser junge Mann hat sich wegen Tonys Redeweise geschämt. Er möchte eine absolut konventionelle Frau.»
»Warum auch nicht? Ärzte müssen auf die öffentliche Meinung bedacht sein.«
»Ich mag keine Snobs.«
»Unsinn, mein Schatz. Das ist kein Snobismus. In bestimmten Berufen muß man konventionell sein. Nur weil du und Larry gerne die Leute schockiert habt, als ihr noch... noch... «
Ich brach in Gelächter aus. Paul wäre beinahe wieder ins Fettnäpfchen getreten. Er wechselte das Thema und sagte: »Jedenfalls mußt du zugeben, daß der Bursche Mut hat. Er klagt nie, daß er bei schlechtem Wetter ’raus muß, und er sah ziemlich fertig aus.« Ich schämte mich. Hier saßen wir nun gemütlich am Feuer, und dieser ziemlich zart aussehende junge Mann fuhr durch den Sturm zurück in ein leeres Haus, und vielleicht wurde er noch einmal vor dem Morgen herausgeholt. Aber er fühlt sich hier nicht richtig wohl, dachte ich. Er braucht Lichter und gepflasterte Straßen und viele kluge Kollegen. Und wie wird Tony sich mit diesem Leben abfinden?
Es hatte keinen Zweck, daran herumzurätseln, denn einen Monat nach ihrer Rückkehr brachte Oliver Barrett Tony nach Hause und fragte Paul mehr oder weniger förmlich, ob er einer Verlobung zustimmen würde.
Tony war schnell hinausgegangen, und ich sah Paul hoffnungsvoll an. Das war der Augenblick, um die Dinge aufzuhalten. Er sagte langsam: »Ich weiß nicht. Sie ist sehr jung. In mancher Hinsicht noch sehr unausgegoren, selbst für ihr Alter. Aber wenn ihr beide sicher seid... Was meinst du, Susan?«
Ich blitzte den Feigling böse an, sprach ganz langsam, tastete mich vor und war entschlossen, nichts Unüberlegtes zu sagen, was ich später bereuen würde. »Natürlich ist sie jung und in gewisser Weise für zwanzig Jahre sehr unreif. Ich glaube, das war ihre unglückliche Kindheit... Natürlich wird heute sehr jung geheiratet... Wie alt sind Sie, Oliver?«
Das schien der richtige Augenblick, um einen freundschaftlichen Ton zu wählen und ihn beim Vornamen zu nennen; wenn ich wirklich die Tante des jungen Mannes werden sollte...
Er sah mich warmherzig an, und ich dachte mit schlechtem Gewissen: >Er ist nett. Hab keine Vorurteile. Denk nicht an Peter. Verdirb nichts.<
Er sagte: »Ich bin achtundzwanzig. Ich will gar nicht behaupten, daß ich nicht die üblichen — na ja, die üblichen Erlebnisse hatte, aber so habe ich mich noch nie gefühlt. Ich habe nie den Wunsch gehabt, jemanden zu heiraten. Es klingt sonderbar, aber — ich liebe sie sehr.«
Es klang nicht sonderbar. Es war einfach und aufrichtig. Paul, der Angst hatte, ich würde sentimental, sagte hastig: »Das wäre es dann wohl, herzlichen Glückwunsch.«
Aber ich wollte mich so nicht zufriedengeben und sagte etwas nervös, weil er nicht der Typ war, bei dem man sich etwas herausnehmen konnte: »Oliver, was für Pläne haben Sie? Beabsichtigen Sie, lange hierzubleiben?«
Sein Gesicht wurde verschlossen, dann sagte er ruhig: »Ich habe keine Pläne. Ich bin hier, und ich hoffe, daß ich meine Arbeit gut mache. Im Augenblick denke ich nicht weiter... «
Ziemlich kurz abgefertigt schlich ich aus dem Zimmer, um nach Tony zu sehen.
Sie hockte in ihrem Zimmer und machte ein besorgtes Gesicht. Als ich hereinkam, sprang sie vom Bett, auf dem sie gesessen hatte, hoch und prüfte meinen Gesichtsausdruck. Ich hoffte, daß ich nichts verriet, ich glaube auch nicht, daß ich es getan habe, denn plötzlich küßte sie mich und sagte: »Es ist dir doch recht, Susan, nicht wahr? Ich hatte solche Angst, du wärst nicht dafür, und es ist doch alles so herrlich.«
Sie war wirklich sehr jung und hatte völlig die Fassung verloren. Ihre Augen glänzten, ihr Gesicht strahlte. Ich küßte sie wieder und sagte: »Ich freue mich, dich so glücklich zu sehen«, und ich meinte, mich gut aus der Affäre gezogen zu haben. Als sie ins Wohnzimmer ging, versuchte Paul etwas abweisend zu sein und sagte: »Na, mein Fräulein, du hast also beschlossen, uns zu verlassen. Was wird dein Vater dazu sagen?«
»Oh«, sagte Tony und reckte sich, um ihm einen Kuß aufs Kinn zu geben, wobei sie seine angeblichen Versuche, ihr auszuweichen, völlig ignorierte. »Daddy wird einverstanden sein. Er wird Oliver mögen, uns besuchen und ab und zu bei uns bleiben. Wenn Oliver nicht zuviel zu tun hat, kann ich vielleicht manchmal mit ihm reisen, aber natürlich nur für kurze Zeit.« Bei den letzten Worten warf sie dem jungen Doktor einen Blick zu, für den mancher Mann viel gegeben hätte.
Jetzt plante sie, daß ihr Leben fast genauso weitergehen würde, wie es augenblicklich war. Ich wechselte das Thema und sagte: »Das muß gefeiert werden«, worauf ich Sherry und Gläser holte. Aber sie kam fast sofort darauf zurück. »Ich werde das Haus sehr schön einrichten und Oliver viel helfen. Er wird mir beibringen, was ich tun muß, und ich werde ihn fahren, wenn er müde ist und auf eine lange Fahrt gehen muß. Es wird herrlich sein, ihm zu helfen, all diese Leute zu pflegen, die keinen Arzt bekommen könnten, wenn er nicht hier wäre. Oh, das Leben eines Arztes auf dem Lande ist wirklich das Beste, was man sich vorstellen kann.«
Bei diesen Worten hatte Oliver sich umgedreht und studierte ein Bild, aber Paul kam ihm zur Hilfe: »Wie wäre es mit dem Leben eines Arztes in der Stadt? Auch dort herrscht ein großer Mangel, und sie tun viel Gutes.«
Tony war an Stadtärzten nicht interessiert. »Mag schon sein«, sagte sie gleichgültig, »aber es ist alles leichter, und sie sind nicht so wichtig. Die Leute können immer einen anderen Arzt finden, wenn ihrer weg ist oder Urlaub macht. Diese Ärzte haben nicht einen ganzen Bezirk, der von ihnen Hilfe erwartet, nur von ihnen. Das Leben eines Arztes im Hinterland ist wie das eines Missionars, nur ohne die klugen Schriften.«
Oliver versuchte nicht, in Tonys Begeisterung einzustimmen, er verteidigte auch nicht die Ärzte in der Stadt. Dazu war er viel zu klug. Es war so, wie ich mir schon gedacht hatte — er wollte Tonys dumme Illusionen ausnutzen, um sich ihre Liebe und Unterstützung zu sichern. War ich gemein, wenn ich dachte, daß ihr Geld auch nicht ganz ungelegen kam? Nicht, daß ich seine echte Liebe zu ihr angezweifelt hätte, aber er war kein Dummkopf, und Geld spielt für einen jungen Arzt, der am Anfang seiner Karriere steht, immer eine Rolle. Ich machte ihm deshalb keinen Vorwurf, und sollte es für Tony eines Tages ein böses Erwachen geben, so war sie wirklich selbst schuld.
Das war zwar alles sehr logisch und nüchtern, entsprach aber nicht meinen Gefühlen.
Ich machte mir Sorgen, nahm mir ein Herz und sprach mit Miss Adams darüber. Sie sagte offen: »Ich habe es kommen sehen, aber Sie wissen sicher, daß ich es nie unterstützt habe, und es tut mir ein bißchen leid. Ich hatte, na ja, etwas anderes erhofft. Aber er ist ein netter Mann, und solange Tony ihn für so opferbereit hält, daß er für andere lebt, wird sie ihn anbeten. Wenn sie herausfindet, daß er verständlicherweise auch für sich selbst leben will, wird es Schwierigkeiten geben.«
Jetzt sprach Paul, der sich sonst ganz selten in die Dinge anderer Leute einmischte, mit Tony. »Du weißt, mein Kind, du mußt auf dich aufpassen, sonst wirst du wie besessen.«
»Besessen? Wovon?«
»Von deinen Vorstellungen über das Leben im Hinterland. O ja, ich weiß, daß du dich von uns hast anstecken lassen, aber in meinem Fall ist das etwas anderes. Ich bin nach dem Krieg hierher gekommen, habe mir meine Farm aufgebaut, und das befriedigt mich. Es ist mein Leben. Es ist nicht zwangsläufig ein Leben für jeden. Vielen Leuten gefällt es nicht. Du mußt lernen, daß es in der Stadt genauso gute Menschen gibt wie auf dem Land. Du hast da irgendwie eine fixe Idee.«
»Du hast gut reden. Du wirst ziemlich böse, wenn jemand dieses Leben nicht mag, und du würdest nirgends sonst sein wollen. Susan auch nicht.« Sie sah mich erwartungsvoll und hilfesuchend an, und ich war in Verlegenheit.
Einerseits wollte ich ehrlich sein und sagen: »Es gab Zeiten, da hätte ich gern woanders gelebt; Zeiten, als jemand krank war, oder das Wetter schrecklich, oder es uns schlecht ging.« Aber ich konnte Paul nicht weh tun, ich konnte nicht sagen, daß ich dies zu meinem Leben gemacht hatte, weil es seines war und er nirgendwo sonst glücklich gewesen wäre. Obwohl es jetzt mein Leben war, hatte ich es Paul zuliebe getan und nicht wegen der Reize dieses Lebens selbst. Ich sagte langsam, und ich hoffe klug: »Jede Frau, die ihren Mann liebt, ist glücklich, wo er ist«, und dann fühlte ich mich ganz stolz.
Aber Paul war nicht dumm. Er sagte scharf: »Sei nicht albern, Tony. Natürlich ist Susan hier glücklich, aber sie wäre in der Stadt genauso glücklich geworden. Sie hat dies zu ihrem Leben gemacht, als sie mich heiratete, und jetzt gefällt es ihr, oder zumindest das meiste davon. Sie ist nicht glücklich, wenn von den Kindern Abschied genommen werden muß, oder sie mit einem alten Auto kämpft oder nie in die Stadt gehen kann, wenn es nicht absolut notwendig ist. Das ist die andere Seite dieses herrlichen Lebens.«
Ich war so erstaunt wie Tony. Dr. Barrett war dankbar, obwohl er es zu verbergen suchte. Ich wußte jetzt, was er vorhatte, auch wenn er nichts verraten wollte. Sobald er Tony ganz sicher hatte, noch besser nach der Hochzeit, würde er das Hinterland verlassen, sie mit in eine Stadtpraxis nehmen und in seinem Beruf vorwärts kommen. Wer konnte ihm deshalb einen Vorwurf machen? Zumindest nicht, weil er ehrgeizig war, höchstens, weil er es verheimlichte und Tony zu gewinnen suchte, bevor er sich offenbarte.
Wir beschlossen, es unseren Freunden sofort zu sagen. Der Bezirk würde es früh genug erfahren, daher erzählte ich es Larry und Tante Kate, als sie am nächsten Morgen erschienen. Ich konnte offen reden, denn Tony war mit Oliver am Abend vorher zum Laden zurückgekehrt, und die Kinder waren weg. Larry spielte nicht die Begeisterte.
»Na ja, er ist ein netter Junge; er arbeitet schwer und braucht jemanden, bei dem er sich anlehnen kann. Eine ewige Stütze. Das wird Tony gerne sein.«
»Aber was passiert, wenn er gleich nach der Hochzeit von hier weggeht?«
Larry zuckte die Achseln. »Wer wollte ihm das vorwerfen? Er leistet hier eine gute Arbeit, aber das wird ihn nicht befriedigen, wenn er ein guter Arzt werden will. Er sollte in die Stadt gehen.«
»Und Tony?«
»Sie muß sich entscheiden. Wenn sie sich für Tiri entscheidet, wird ihr ein bißchen das Herz brechen. Zerstörte Träume und all das. Wenn sie sich für Oliver entscheidet, dann liebt sie ihn wirklich.«
Kate sagte nichts, und als ich in sie drang, antwortete sie mit ihrer üblichen Schroffheit: »Warum fragst du mich? Ich bin eine alte Jungfer und kann das nicht beurteilen. Ich mag den jungen Mann gerne. Er ist tüchtig, bescheiden und liebenswürdig. Tony wird später entdecken, daß er kein Wundermensch ist, kein selbstloses menschliches Wesen. Damit wird sie sich abfinden. Das müssen die meisten von uns durchstehen.«
Beides klang nicht sehr beruhigend. Ich sagte: »Ich habe mich immer gefreut, daß Tony hier so glücklich war. Jetzt wünsche ich, sie würde merken, daß manch anderes Leben genau so gut ist.«
Kate war erschreckend ehrlich. »Dein Fehler, Susan. Deiner und Larrys. Ihr habt mit diesem Leben Kult getrieben. Nichts war unangenehm. Alles machte Spaß. Das hat Tony geschluckt. Als sie herkam, war sie nicht glücklich. Jetzt meint sie, ihr Eldorado gefunden zu haben. Barrett ist so vernünftig, anders zu denken. Das werden sie durchkämpfen müssen.«
Ich sagte: »Sie haben sich gnädig bereit erklärt, mit der Hochzeit sechs Monate zu warten.«
»Warum machst du dir dann Sorgen? Kopf hoch, und rede von etwas anderem.« Tante Kate war heute morgen wirklich besonders ermutigend. Von unseren Freunden war niemand übermäßig begeistert. Alle sagten, sie fänden Oliver in Ordnung, aber gleichzeitig machten sie Vorbehalte. Der Oberst sagte: »Er ist ein sehr tüchtiger Mann. Er wird viel erreichen, aber...«
Anne war liebenswürdig wie immer: »Ich mag ihn gerne. Er ist nett, geduldig, zu allen gleich freundlich, aber trotzdem... « Alison redete überhaupt nicht davon. Sie gratulierte dem Doktor, sagte, er sei ein sehr glücklicher Mann und legte den Arm um Tony mit den Worten: »Und ich hoffe, daß du immer sehr glücklich sein wirst.«
Sam war etwas ungeschickt. »Ja, Tony, ich hatte immer geglaubt, du würdest einen Farmer heiraten. Jemanden, der im Bezirk bleibt und unser Leben lebt. Aber trotzdem, Barrett ist ein guter Kerl.« Tony sagte schnell: »Aber natürlich werde ich hierbleiben. Das ist auch Olivers Leben. Wie sollte Tiri ohne ihn auskommen?«
Sam machte ein verlegenes Gesicht; Oliver starrte aus dem Fenster, und ich sagte schnell: »Wir mußten vorher zurechtkommen, und das werden wir auch wieder versuchen müssen«, aber Tony bestritt das heftig. Sie war einfach baß erstaunt, daß jemand glauben konnte, sie würde uns verlassen.
Peter sagte gar nichts. Als er das nächste Mal zum Supermarkt ging, sagte er Tony, er hoffe, sie würde sehr glücklich werden, und ob sie wohl ein Wurmmittel für die Hunde vorrätig hätte. Alles in allem ziemlich unbefriedigend und bedrückend.
Selbst Alister machte keinen Luftsprung. Er schrieb seinem zukünftigen Schwiegersohn sehr freundlich und sehr liebevoll. An Tony, versicherte, er würde ihr schon jetzt ziemlich hohes Taschengeld verdoppeln, wenn sie verheiratet wäre. »Nicht daß Oliver kein Geld verdienen würde, aber ich finde es schön, wenn eine Frau ihr eigenes Einkommen hat und nicht wegen jedes Dollars zu ihrem Mann laufen muß. Außerdem wird dein Dr. Barrett eine Menge Ausgaben haben, wenn er sich vergrößert« — eine Bemerkung, deren Bedeutung Tonys Fassungsvermögen überstieg.
An mich schrieb er: »Es hat keinen Zweck, traurig zu sein, Susan. Es ist schade, aber man kann es nicht ändern. Er ist ein attraktiver junger Mann, und er besitzt viel Ehrgeiz, obwohl er so klug ist, im Moment nicht davon zu sprechen. Tue inzwischen dein Bestes, um die Dinge so lange wie möglich hinauszuziehen. Ich bin etwas verärgert, wenn ich bedenke, daß dieser junge Mann voller Pläne steckt und sie erst zum passenden Zeitpunkt preisgeben will. Seine Hochzeit ist erst in einigen Monaten, dann muß er heraus mit der Sprache, und das wird ein Gewitter auslösen; darauf wollen wir uns freuen.«
»Typisch für diesen Menschen, daß er einen ordentlichen Krach genießt, solange er nicht selbst drinsteckt«, brummte
Paul, als er das las. »Für uns ist das nicht so lustig. Ich glaube, daß es dem Kind einen ziemlichen Knacks geben wird, schlimmer als bei dem ganzen Unsinn mit Norman Craig. «
Wenn Alisters Bemerkungen zutrafen, so stimmten auch die meines Mannes. Paul hatte sich die größten Sorgen gemacht, als Tony damals ihr Herz einem Heiligen geschenkt hatte, der doppelt so alt war wie sie. Er hatte zwar nie davon gesprochen, es aber nicht vergessen, und ich auch nicht. Das steigerte nicht gerade meine Begeisterung für diese neue unglückliche Liebschaft.
Alisters Brief endete, wie zu erwarten war: »Ich bin aber der Auffassung, daß man nicht eingreifen kann. Fehler muß man selbst machen und selbst daraus lernen, auch wenn es hart ist.«
Sein Fehler war natürlich Claudia gewesen. Sie schrieb freundlich an ihre Tochter und herzlich an mich: »Du hast, wie ich schon sagte, mit deiner Adoptivtochter wirklich Erfolg gehabt. Er scheint ein sehr vielversprechender junger Mann zu sein, der seinen Weg machen wird. Tony wird hoffentlich ihre Erfüllung darin finden, ihm zu helfen.«
Paul explodierte, als er das las: »Zum Teufel mit der Erfüllung. Wer will seine Erfüllung darin finden, einen Kerl zu unterstützen, der nicht den Mut hat, die Wahrheit über seine Zukunft zu sagen? Tony ist keine Heilige. Wenn sie herausfindet, daß sie hinters Licht geführt wurde, ist eine Scheidung wahrscheinlicher als irgendeine Erfüllung.«